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Google und der empfindliche Umgang mit Kritik

By 2010/07/07Medien, Meinung

Ein Kommentar zu­ fehlbaren Computerprogrammen, übertriebener Prüderie und dem dünnhäutigen Pressesprecher – Daten-Gigant Google zeigt, wie aktuell und wichtig eine Werte- und Freiheits-Diskussion im Web 2.0 Zeitalter ist.

Angefangen hatte alles mit einem kritischen Bericht des Journalisten Richard Gutjahr über eine Künstlergruppe, die sich über das P o r n o -Verbot der Computerfirma Apple lustig macht. (Apple erlaubt z.B. keine App, in der nackte Haut abgebildet werden darf – siehe z.B. auch http://www.golem.de/1002/73324.html). Der Bericht auf der Blog-Seite gutjahr.biz zeigte keinerlei S e x – Szenen oder gar anzügliche Bilder. „Der Inhalt ist so harmlos, dass selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen den begleitenden Beitrag im Nachmittagsprogramm ausstrahlte,“ so Richard Gutjahr.

Das Ultimatum: Änderung oder Sperrung

Doch kurz nach Erscheinen des Blogbeitrags erhält der Journalist Gutjahr eine Mail von Google:
 „Sie haben drei Werktage Zeit, gutjahr.biz zu ändern“ Bei einem weiteren Verstoß gegen die Google Regeln“, so droht Google in der Mail, müsse „Ihr Konto…“ gesperrt werden.

Der Journalist hatte nach Meinung der Google Suchmaschinen offensichtlich seinen Blog, auf dem er Googles AdSense-Werbesystem installiert hat, mit „nicht jugendfreiem Content“ bzw. „freizügigen Texten“ versehen.

Richard Gutjahr hat daraufhin in seinem Blog über die Reaktion von Google auf seinen Bericht zur Zensur bei Apple berichtet. Die Bemängelung dieses Berichts durch Google und die ultimative Aufforderung den Text zu ändern, hat er in seinem Blog ebenfalls als Zensur bezeichnet – und schon schrillten in Hamburg die Alarmglocken…

Google-Unwort: Zensur

Ein Google Sprecher korrigierte Gutjahr telefonisch und stellte für Google fest: „Keine Zensur“, sondern eben nur die Aufforderung, sich an die „Spielregeln“ zu halten. Und wer AdSense benutzt, hat irgendwo einen Link angeklickt, dass er die AGBs alle gelesen und akzeptiert hat (Mal ehrlich, wer von Euch liest all das Kleingedruckte?).

Aber selbst, wenn man sich die Mühe macht und alle AGBs liest, muss man sich doch wundern: Bereits die Darstellung „nackter Körper“ fällt für Google unter „nicht jugendfreier Inhalt“. Ebenfalls nicht jugendfrei sind „unangemessene Ausdrücke“. Aber was ist unangemessen? Entscheidet das US-Unternehmen Google, was in Deutschland „unangemessen“ ist? Und was genau ist Zensur? Für Euch, für mich, für Google?

Der Algorithmus entscheidet heute über Unangemessenheit (und Zensur). Und morgen?

Die erste Definition von Zensur, die man findet, wenn man Google selbst bemüht:

„Zensur (censura) ist ein politisches Verfahren, um durch Massenmedien oder im persönlichen Informationsverkehr (etwa per Briefpost) vermittelte Inhalte zu kontrollieren, unerwünschte beziehungsweise Gesetzen zuwiderlaufende Inhalte zu unterdrücken (…)“ (Wikipedia)

Das deutsche Zensur-Museum schreibt auf seiner Seite: „Eine genaue Definition des Begriffes „Zensur“ fällt insofern schwer, da Juristen etwas anderes darunter verstehen als etwa Soziologen. Für die Betroffenen, deren Werke zensiert oder verboten werden, stellen die Eingriffe fast immer Zensurakte dar.“

Die Seite Lexexakt verweist auf den Einfluss von Quasi-Monopolist Google: „Suchmaschinen wie Google haben als Fast-Monopolist einen großen Einfluss auf das Surfverhalten der Nutzer und die Macht, Ergebnisse zu unterdrücken (sog. weiße Zensur).“
Also was macht Google bei AdSense und im o.g. Fall? Man kontrolliert vermittelte Inhalte und unterdrückt unerwünschte Inhalte. Aber Zensur darf man das nicht nennen? 
Nein, nicht bei Google, denn dann schwillt dem Google-Sprecher der Kamm.

Nun, die Teilnahme am AdSense-Werbeprogramm von Google ist freiwillig und wer mitmacht, muss sich auch an die Regeln halten – ob die nun immer sinnvoll sind oder auch nicht.

Aber wo ist die Grenze? Was ist, wenn Google jemandem demnächst vorschreiben möchte, wie der Inhalt auszusehen hat, der auf der Website steht? Oder nur noch Webseiten gelistet werden, die keine Menschen am Strand oder gar Schwimmerinnen im Bikini zeigen? Wo beginnt wirklich Zensur?

So, wie sich Apple der Diskussion um die Zulassungsquerelen bei Apps stellen muss, sollte sich auch Google der Diskussion um die Kontrolle der Inhalte stellen und der Frage, ob all das wirklich ausschließlich maschinell betrieben werden kann, oder ob am Ende nicht doch Menschen mit Herz und Verstand darüber entscheiden sollten, was erlaubt und was nicht erlaubt sein kann und darf.

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Damit sich jeder selbst ein Bild zum Kommunikationsmanagement von Google machen kann, sind hier die die Original-Texte und Tweets zitiert:

2. Juli, 06:10 Twitter-Tweet gutjahr: Google schmeisst mich raus. Wegen Porno. http://bit.ly/bQXj7V [blog] #apple #zensursula

2. Juli, 06:34 Twitter-Tweet brainscript: Krasser Angriff auf Pressefreiheit: #Google will Journalisten-Blog sperren, der über #Apple Zensur schreibt!! #gutjahr http://bit.ly/bQXj7V

2. Juli, 10:47 Twitter-Tweet frischkopp: Lieber Herr Behr – wirklich erschreckend welche Aussagen Sie als Journalist treffen – ohne Hintergundwissen oder Ahnung von der Sache!

2. Juli, 10:47 Twitter-Tweet frischkopp: Woher nehmen Sie das, dass wir ein Blog sperren wollen? Wie kommen Sie dazu von einem Angriff auf die Pressefreiheit zu sprechen? Ohne Worte

5. Juli, 16:23 – E-Mail per Xing:

Lieber Hr. Keuchel,

nun versuche ich es per Xing, da ich Ihnen per Twitter nicht antworten kann: Das Ihnen als Pressesprecher mein Tweet nicht gefallen darf, ist verständlich.
Aber das ist Ihr Google-Dilemma: menschliche Äußerungen werden maschinell und damit oft falsch bewertet. Hier noch mit relativ harmlosen Folgen. Aber wie geht die Entwicklung weiter?

Darf ein Journalist nicht über bestimmte Themen berichten, ohne Ihr Einverständnis? Schmeissen Sie mich nun aus Google, weil ich einen kritischen Tweet schreibe? Kommen Kritiker, die ihr Haus nicht in Google-View abgelichtet sehen wollen (wie ich auch!!!) auf den Index?

Ihre Prozesse sind das Problem, nicht die Verwendung des Wortes Porno in einem journalistischen Text!
Deutschland ist gut gefahren mit einer unabhängigen Presse und mit den Errungenschaften der Meinungsfreiheit in den letzten 55 Jahren. Im Mutterland Ihres Unternehmens ist das nicht immer ganz so gewesen.
Leider agiert Google häufig an den Ängsten und den Befindlichkeiten der Bevölkerung vorbei, vor allem im Licht der Datenschutzdiskussion der letzten Wochen. Und mit dieser Meinung bin ich nicht alleine.
Der Abbruch oder die Androhung des Abruchs von Dienstleistungen oder
Geschäftsbeziehungen per Maschine, aufgrund einer öffentlichen Meinungsäußerung (= Blog von R. Gutjahr) ist und bleibt für mich ein nicht akzeptabler Eingriff in die Meinungsfreiheit und in diesem Falle in die Pressefreiheit. (Vor allem da die Initative von Ihrem Unternehmen ausging)!

Google ist ein sicherlich faszinierendes Unternehmen mit tollen Services. Leider ist die Kommunikation mit den teilweise besorgten und sich bedroht fühlenden Bürgern und Usern nicht von der gleichen Qualität und Sensibilität wie viele ihrer Produkte. Ich bin mir sicher, Sie arbeiten daran.

Besten Gruß
Nikolai Behr

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Von:
Stefan Keuchel

An:
Dr. Nikolai A. Behr

Datum:
05.07.2010, 16:56

Betreff:
Re: Ihr Direct-Tweet an mich

Hallo Herr Behr,

es geht in diesem Fall nicht darum, ob ich Pressesprecher bin. Sie bezeichnen sich als Journalist und schreiben: 

Krasser Angriff auf Pressefreiheit: #Google will Journalisten-Blog sperren, der über #Apple Zensur schreibt!! #gutjahr http://bit.ly/bQXj7V Bitte belegen Sie Ihre Aussage. 
- Wie handelt es sich hier um einen Angriff von Google auf die Pressefreiheit? 
- Welchen Blog wollen wir angeblich sperren?

Entweder ist es mit Ihrer journalistischen Ausbildung nicht weit her oder aber Sie verbreiten bewusst falsche Dinge (aus was für Gründen auch immer).

Zu den Fakten: 
Herr Gutjahr nimmt am AdSense Werbeprogramm teil. Er erhält Geld von Google für jeden Klick, den Besucher seines Blogs auf die Anzeigen tätigen. Als sich Herr Gutjahr für das AdSense Programm angemeldet hat, hat er sich – wie viele hundertausende anderer AdSense Teilnehmer auch – verpflichtet, sich an die Nutzungsbedingungen von AdSense zu halten. Die regeln klar und deutlich die Verwendung „nicht jugendfreier“ Sprache. Übrigens ähnlich, wie auch der Bayerische Rundfunk (für den Herr Gutjahr arbeitet) Richtlinien hat, an die sich Journalisten halten müssen.

Herr Gutjahr hat gleich mehrere Optionen:
– Die Anzeigen von dem entsprechenden Blogpost nehmen
– Die anstössigen Worte entfernen
– nicht mehr am AdSense Programm teilnehmen

Wenn Sie sich die Kommentare unter dem Blogpost von Herrn Gutjahr durchlesen und insbesondere den letzen Hinweis von Herrn Gutjahr selbst, dass es falsch von ihm war hier von Zensur zu sprechen, sollte Ihnen das einleuchten.

Ansonsten würde ich Sie bitten, mir zu sagen wo hier ein Angriff auf die Pressefreiheit stattfindet. Woher nehmen Sie, dass wir den Blog von Herrn Gutjahr sperren wollen???

Was sind das für Aussagen von einem angeblichen Journalisten????

Ihre weiteren Vermutungen, wir würden Sie nun aus dem Index nehmen, weil Sie Google kritisch gegenüber stehen etc. zeigen leider deutlich, dass es wahrscheinlich keinen Sinn hat, überhaupt Zeit damit zu verschwenden, Ihnen diese Dinge erklären zu wollen.

Mit Gruß,

Stefan Keuchel

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P.S. Die Kommentare auf dem Blogpost (http://gutjahr.biz/blog/2010/07/google-frist/) von Herrn Gutjahr, auf die sich der Google-Sprecher in der o.g. Mail bezieht, sind in der Tat sehr lesenswert! Aber anders als er impliziert, halten die Kommentatoren in der Mehrheit – wie der Autor dieses Beitrags – die Aktion von Google für eine Form von Zensur oder zumindest für sehr problematisch!

Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion zu dem Thema.

Nikolai A. Behr

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